Franz Kafka – zum 100. Todestag
von Hansjörg Rüthel
Franz Kafka gilt als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er ist weltweit bekannt und wahrscheinlich einer der meist übersetzten Autoren deutscher Sprache. Sein Name ist im Deutschem und Englischem sogar zu einem eigenen Wort geworden, “kafkaesk” bedeutet nach Duden “auf unergründliche Weise bedrohlich”. Heute vor hundert Jahren ist er gestorben.
Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.
Brief an Oskar Pollak vom 8.11.1903
1883 geboren und aufgewachsen ist er in Prag, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Als deutschsprachiger Jude gehörte er gleich doppelt einer Minderheit an. Die Spannung zwischen diesen verschiedenen Identitäten und Zugehörigkeiten trug zu einem Gefühl der Entfremdung bei, das ein zentrales Thema in Kafkas Literatur ist.
Der übergroße Vater
Seine wohlhabende Familie wurde dominiert vom Vater, einem schon körperlich übermächtigen Mann, der, aus einfachen Verhältnissen stammend, sich durch Tatkraft und Energie hochgearbeitet hatte. Franz Kafka, selbst sensibel und feinfühlig, sollte sich sein Leben lang an seinem Vater und dessen Erwartungen abarbeiten. Berühmt geworden ist sein nie abgesandter Brief an den Vater.
Direkt erinnere ich mich nur an einen Vorfall aus den ersten Jahren. … Ich winselte einmal in der Nacht immerfort um Wasser, gewiß nicht aus Durst, sondern wahrscheinlich teils um zu ärgern, teils um mich zu unterhalten. Nachdem einige starke Drohungen nicht geholfen hatten, nahmst Du mich aus dem Bett, trugst mich auf die Pawlatsche (Balkon) und ließest mich dort allein vor der geschlossenen Tür ein Weilchen im Hemd stehn. … Ich war damals nachher wohl schon folgsam, aber ich hatte einen inneren Schaden davon. Das für mich Selbstverständliche des sinnlosen Ums-Wasser-Bittens und das außerordentlich Schreckliche des Hinausgetragenwerdens konnte ich meiner Natur nach niemals in die richtige Verbindung bringen. Noch nach Jahren litt ich unter der quälenden Vorstellung, daß der riesige Mann, mein Vater, die letzte Instanz, fast ohne Grund kommen und mich in der Nacht aus dem Bett auf die Pawlatsche tragen konnte und daß ich also ein solches Nichts für ihn war.
Brief an den Vater
Geschichten von ungenannter Schuld und Versagen
Das Gefühl der Schuld, des Versagens und der Unterdrückung, das Kafka empfand, findet sich in Geschichten wie „Das Urteil“ und „Die Verwandlung“. In diesen Erzählungen kämpfen die Protagonisten oft mit übermächtigen Vaterfiguren und einem unentrinnbaren Schicksal.
Berühmt sind auch seine längeren, aber auch sehr kurzen dunklen Gleichnisgeschichten wie z.B. diese
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.
Kleine Fabel
Trotz seiner langen Tuberkulosekrankheit, die auch seinen frühen Tod im Alter von nur 40 Jahren verursachte, hinterließ Kafka ein beeindruckendes Werk. Seine Romane wie „Der Prozess“, „Das Schloss“ und „Amerika“ erkunden die menschliche Existenz in einer bürokratisierten, unverständlichen und entmenschlichten Welt. Kafkas Fähigkeit, universelle Ängste und Unsicherheiten zu thematisieren, hat ihm einen festen Platz in der Weltliteratur und auch in der Schule gesichert. Wahrscheinlich kein Schüler verlässt das Gymnasium ohne wenigstens eines der Werke Kafkas gelesen zu haben. Das ist nicht immer ein Vergnügen, aber darum geht es ja auch ganz und gar nicht! Denn …
… ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns
Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.
Brief an Oskar Pollak vom 27.1.1904
Wer solche Bücher lesen will, der muss Werke von Franz Kafka lesen! Die anderen bleiben besser bei Romantasy und Colleen Hoover.
Titelbild bearbeitet mit einem Bild von Vectorportal.com, CC BY
Nichts erwartet
trotzdem enttäuscht
Cooler typ